Unsere Landsmannschaft lächelt wieder
Ein Bericht über die Bundesdelegiertenversammlung in Fulda
Ein herzhaftes und unbeschwertes Lachen kann sich unsere Landsmannschaft Schlesien noch nicht leisten, weil in puncto Organisation noch nicht der Stand erreicht werden konnte, der für eine in die Zukunft gerichtete Arbeit einer Landsmannschaft notwendig ist, und weil die finanzielle Ausstattung noch zu wünschen übrig lässt. Ein Lächeln ist jedoch angebracht und berechtigt; denn nach dem Beinahe-Absturz vor drei Jahren ist die Bundesorganisation unserer Landsmannschaft quasi wie Phönix aus der Asche wieder erstanden. Der neue Geist, der auch in der stark verjüngten, zudem sehr engagierten und vielfältig vernetzten Führungsmannschaft zum Ausdruck kommt, war auch wieder bei der Bundesdelegiertenversammlung am 28. Mai im Bonifatiushaus in Fulda zu spüren. Wer hätte noch vor fünf Jahren daran zu denken gewagt, dass es innerhalb weniger Jahre gelingen könnte, aus dem zukunfts- und visionslos vor sich hindümpelnden Flaggschiff Landsmannschaft Schlesien eine schnittige Fregatte mit einem klaren Reiseziel und einer jungen Mannschaft zu machen, einen Erlebnisverband spurweise in einen Bekenntnisverband umzuformen. Die Stimmung beim Fuldaer Treffen war freundlich, deutlich kameradschaftlich geprägt. Man freute sich wieder aufeinander und fuhr strategisch und menschlich gestärkt nach Hause.
Die Landsmannschaft Schlesien war dieses Mal zu Gast im Bundesland Hessen, dessen Landesregierung sogar einen Großteil der Kosten übernommen hatte. Den Auftakt bildete ein Empfang des Bundesvorstandes durch den Fuldaer Bürgermeister Dag Wehner, an dem auch die Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler-Raschdorf teilnahm, eine patenschaftserprobte CDU-Frau, die immer wieder auch in die seit über 60 Jahren bestehende Patenschaft der Stadt Fulda mit Oberglogau/Glogowek in Oberschlesien eingebunden war. Es gibt den hoffnungsvollen Verdacht, dass sich am Rande dieses Empfangs die Gründung einer neuen Fuldaer Schlesiergruppe angebahnt hat.
An der Bundesdelegiertenversammlung in Fulda, fast im geographischen Mittelpunkt der Bundesrepublik gelegen, waren mit Ausnahme von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz alle Landesgruppen und korporativen Mitglieder der Landsmannschaft Schlesien vertreten. Die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen war aufgrund ausständiger Mitgliedsbeiträge nicht stimmberechtigt, war aber immerhin mit einem stillen, aber durchaus nicht depressiven Beobachter präsent. Die Stimmung der Versammlung war wie schon die letzten Male in Heisterbacherrott und Görlitz freundlich und optimistisch. Dazu trug auch die heitere Gelassenheit bei, mit der der Präsident der Bundesdelegiertenversammlung Dr. Gotthard Schneider alle vorgesehenen Tagungsordnungspunkte zügig über die Bühne brachte.
Die gastgebende Landesgruppe Hessen präsentierte mit dem Schulmeister Albrecht Kauschat einen neuen Landesvorsitzenden, 1952 als Sohn eines niederschlesischen Vaters in Limburg geboren, der in seiner Begrüßung eine Reihe von Vorhaben und Absichten für seine Landesgruppe präsentierte, abermals ein Zeichen, dass Schlesien mit den deutschen Bekenntnisgenerationen weiterleben wird.
Finanzloch mit Hoffnungen
Bundesschatzmeister Günther Zimmermann konnte keinen ausgeglichenen Haushalt für 2015 präsen-tieren, weil die Einnahmen aus Beiträgen und Spenden trotz einer Beitragserhöhung abermals um 10 Prozent abgenommen haben. Die Mitgliedsbeiträge der Landsmannschaft Schlesien werden ohnehin zu 84 Prozent von den Landesgruppen Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen aufgebracht, wobei Nordrhein-Westfalen als größter Beitragszahler im vergangenen Jahr stark schwächelte und Zeichen einer Insolvenz erkennen ließ. Die Frage der ausstehenden Beiträge der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen wurde von der Bundesdelegiertenversammlung mit einer einstimmig verabschie-deten Resolution bedacht, mit der die Landesgruppe aufgefordert wird, die rückständigen Beiträge von summa summarum 23.913 Euro bis Mitte Juni zu bezahlen. Danach wird sich die landsmannschaftliche Bundesspitze wohl zu einem „schlesischen Inkasso“ entschließen müssen. Die Landesgruppe Niedersachsen, in deren Grenzen damals die allermeisten Schlesier unterkamen, rund 600.000 waren es, trägt gerade mal 1,7 Prozent zur Finanzierung der Bundesorganisation der Landsmannschaft Schlesien bei, ein Betrag von jährlich 650 Euro und eine Regelung, die irgendwann vor Jahrzehnten von irgendwem getroffen wurde. Da die Beiträge und die Spenden zusammen gerade einmal 23 Prozent des Finanzierungsbedarfs der Bundesgeschäftsstelle ausmachen, ist eine Modernisierung der Organi-sationsstruktur dringend angesagt. Dazu gehört auch, eine institutionelle Förderung der Bundesge-schäftsstelle durch die Landesregierung des Patenlandes Niedersachsen wie bei den anderen rund zwanzig Landsmannschaften anzudenken. Dazu gehört ferner die bereits beschlossene Absicht, sich wie andere Interessenvertretungen (ADAC) auch gewerblich, beispielsweise mit Reisediensten, verlegerischen Tätigkeiten und Messen, zu engagieren. Dass die Landsmannschaft Schlesien, die den größten Bevölkerungsanteil aller Vertreibungsgebiete vertritt, sich mit der kleinsten und finanziell dürftigsten Bundesgeschäftsstelle abquälen muss, sollte spätestens jetzt zu Änderungen führen. Der Bundesschatzmeister unterbreitete zum Schluss noch den Vorschlag, die aktuell notwendige Konsoli-dierung mit einem einmaligen zusätzlichen Zukunftsbeitrag von 50 Euro pro Mitglied einzuleiten. Dieser Vorschlag fand keine Mehrheit, führte aber zu der Entscheidung, zur Abgabe eines ansehnlichen Zukunftsbeitrages aufzurufen, mit dem die weit in die Zukunft reichenden Aufgaben der erneuerten Landsmannschaft Schlesien solide finanziert werden können.
Es gibt viel zu tun
Der Bericht des Bundesvorsitzenden Stephan Rauhut war ein klarer Beleg für den neuen Geist, die neue Linie und Kraft der Landsmannschaft Schlesien, zugleich aber auch ein Bekenntnis zu den bisherigen Aufgaben unseres Verbandes, die auch im 21. Jahrhundert ihre Bedeutung nicht verloren haben, obendrein jedoch die Frage aufwirft, wie Stephan Rauhut neben Beruf und Familie dieses Riesenpensum bewältigt. Die stichwortartige Kurzfassung seiner persönlichen Aktivitäten nimmt schon zwei Schreibmaschinenseiten ein. Sie erstrecken sich räumlich auf das gesamte Gebiet der Bundes-republik Deutschland mit sämtlichen Bundesländern, gewissen Schwerpunkten in Hannover und Berlin, und auf das heutige Schlesien. Es geht ihm darum, auch die Schlesien benachbarten Landes-regierungen Brandenburg und Sachsen in unsere grenzüberschreitenden Bemühungen einzubinden. Ein ganz wichtiges Anliegen, das auch emotional sehr bewegend diskutiert wurde, ist für ihn und die gesamte Landsmannschaft Schlesien die Zusammenarbeit mit der Landsmannschaft der Oberschlesier, die ab sofort auch auf der Gruppenbasis schon stärker gepflegt werden könnte. Unter Rauhuts Regie wurden unzählige neue Kontakte geschaffen, um die Beziehungen zu den politischen Parteien zu verbessern, um Verbindungen für die Studentenseminare z.B. mit der Universität Gleiwitz zu schaffen, den Ständigen Rat der ostdeutschen Landsmannschaften zu reaktivieren und für politisch wichtige Begegnungen vorzubereiten. Die Entschädigung der Zwangsarbeiter ist zwar inzwischen entschieden, aber es gibt dabei und dazu noch manches zu erledigen. Es gibt diverse weitere Probleme, mit denen sich der Bundesvorsitzende Rauhut beschäftigen muss; dazu zählen der Zustand und die Zukunft einiger abständiger und abständig erscheinender Landesgruppen. Daneben leitet Stephan Rauhut in Bonn eine ungemein rührige und aktive landsmannschaftliche Kreis- und Ortsgruppe und ist Woche für Woche auf mindestens zwei Dutzend Kultur-, Kirchen-, Vertriebenenveranstaltungen zwischen Flensburg und Mittenwald unterwegs. Zusätzlich gehört er dem Bundesvorstand des Bundes der Vertriebenen an. Alles in allem ein Leistungspaket, das sich keiner seiner Vorgänger zugemutet und/oder zugetraut hätte.
Aufgaben noch und noch
Die Berichte der verschiedenen Fachgremien und korporativ angeschlossenen Gruppierungen ließen erkennen, dass aufgrund der nach wie vor recht munter fließenden Fördermitteln des Bundes und des Patenlandes Niedersachsen eine lebhafte vor allem kulturelle Breitenarbeit geleistet wird, für die sich immer noch engagierte Organisatoren und zahlreiche interessierte Tagungsteilnehmer finden. So gab es wieder eine Tagung der Frauenreferentinnen, organisiert von der Bundesfrauenreferentin Margarete Weber, und eine Bundeskulturtagung, deren Leitung Helga Wüst für die erkrankte Bundeskultur-referentin Annegret Kunert übernahm. Unbedingt intensiviert werden muss die Zusammenarbeit mit dem Schlesischen Kreis-, Städte- und Gemeindetag, in dessen angeschlossenen Bundesheimatgruppen ein zwar sehr unterschiedlich strukturiertes, aber kolossales schlesisches Potenzial schlummert oder tätig ist, von dem die Landsmannschaft Schlesien weit entfernt ist und nichts spürt. Die Sammelbesuche, etwa ein halbes Dutzend pro Jahr, sind begrüßenswert, aber im Sinne unserer Landsmannschaft inhaltlich und zahlenmäßig ausbaufähig, vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, sie europa- und partnerschaftspolitisch aufzuwerten.
Ein neues Schlesiertreffen 2017
Bei der Entscheidung, 2017 wieder ein Schlesiertreffen in Hannover durchzuführen, gab es wider Erwarten keinerlei Probleme, weil das Plenum zuvor erfahren hatte, dass das Treffen 2015 unter dem neuen landsmannschaftlichen Management finanziell mit einer „schwarzen Null“ geendet hatte. Alle wollen 2017 wieder dabei sein, und das Versammlungsvolk hatte zahlreiche Vorschläge parat, wie diese Veranstaltung noch sicherer, noch attraktiver gestaltet werden könnte. Man könnte das Schlesiertreffen, ähnlich wie das Treffen der Sudetendeutschen, zu einem Treffen der zahlreichen schlesischen Interessengruppen (Briefmarkensammler, Ahnenforscher, Rückenschwimmer, Pferdepfleger u.a.) umge-stalten, vielleicht auch die Gastronomie in eigener Regie betreiben und - ganz einfach - den unerwarteten Optimismus des letzten Schlesiertreffens auf das neue Treffen übertragen.
Obwohl die Bundesgeschäftsstelle im „Haus Schlesien“ übers ganze Jahr gerechnet nicht einmal zwei voll tätige Arbeitskräfte aufzuweisen hat, wurde wieder ein riesiges Pensum an Verbandsarbeit für Schlesien geleistet, darunter auch wieder Lehrgangsprojekte für junge Erwachsene aus dem heutigen Schlesien, drei im „Haus Schlesien“ und zwei in Schlesien, mit denen wie schon in den 26 Jahren zuvor den Teilnehmern ein vorurteilsfreies und objektives Bild der Landsmannschaft Schlesien der polnischen Bevölkerung vermittelt werden soll. Das Verkaufsgeschäft Silesia im „Haus Schlesien“ wurde in der bisherigen Form aufgegeben; die Warenbestände werden online und über die Verbandszeitschrift verkauft.
Auf ein Wiedersehen in Breslau
Natürlich kam bei den diversen Tagesordnungspunkten und bei den zahlreichen Gesprächen der Versammlungsteilnehmer auch laufend das wunderbare Ereignis Breslau als europäische Kulturhauptstadt zur Sprache. Ob es alle Breslauer in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr schaffen, nach Breslau zu fahren, muss wohl bezweifelt werden, aber wer noch einigermaßen geländegängig ist, wird es schaffen, auch viele Schlesiergruppen. Die Bundesorganisation der Landsmannschaft wird zusammen mit der Landesgruppe Baden-Württemberg zu einem literarisch-musikalischen Szenarium über das Leben und Werk Eichendorffs, dargeboten von dem berühmten Rosenau-Trio, in die Oderstadt einladen.
Neuer, alter Bundesvorstand
Eine nicht ganz unwichtige Aufgabe der diesjährigen Bundesdelegiertenversammlung war die Neuwahl des Bundesvorstandes, früher zuweilen ein problematisches Unterfangen, bei dem nicht alle Posten besetzt werden konnten oder durften. In diesem Jahr blieben auch jedwede Kampfabstimmungen aus, aber es konnten alle Ehrenämter flüssig, mit erprobten und volkskammerverdächtig guten Resultaten besetzt werden. Das Ergebnis:
Präsident der Bundesdelegiertenversammlung - Schlesische Landesvertretung: Dr. Gotthard Schneider, Riemerling
Bundesvorsitzender: Stephan Rauhut, Bonn
Stellvertretende Bundesvorsitzende: Dr. Heinz-Werner Fleger, Wenden; Renate Sappelt, Gummersbach
Bundesschriftführerin: Monika Schultze, Düsseldorf
Bundesschatzmeister. Günther Zimmermann, Heimsheim
Stellvertretender Bundesschatzmeister: Christfried Krause, Rot am See
Bundespressesprecher: Carsten Becher, Bonn
Bundeskultureferentin: Helga Wüst, Weinstadt
Bundesfrauenreferentin: Margarete Weber, Dorsten
Hans-Joachim Herbel, Stuttgart, wurde für die Aufgabe, die Werbung von Einzelmitgliedern für die Landsmannschaft zu organisieren, in den Landesvorstand kooptiert.
Die schon bei der letzten Bundesdelegiertenversammlung in Görlitz verabschiedete neue Satzung musste aufgrund eines vom Registergericht beanstandeten Formfehlers nochmals dem Plenum vorgelegt werden. Nach einer kurzen Diskussion, die vor allem in puncto Präambel auch unterschiedliche Meinungen erkennen ließ, wurde sie jetzt abschließend und zukunftsweisend verabschiedet. Nach den harmonischen und durchaus beglückenden Stunden in Fulda wurde die Absicht bekannt, künftige Bundesdelegiertenversammlungen in der Provinz zu veranstalten. Die schlesischen Verbandsvertreter freuen sich darauf.
Text: Günther Zimmermann